57 Hufeisen verbraucht, 111 Tage im Sattel gesessen, 155 Tage insgesamt unterwegs, und dabei 2813,2km zurückgelegt.
Und das, obwohl unser Karma auch in den letzten Wochen wieder gründlich getestet hat, ob wir das auch wirklich durchziehen wollen. Konni hat sich eine offene Fraktur am Finger eingehandelt, die Pferde sind 4km von Belarus entfernt im polnischen Wald verschwunden, unser Zelt wurde mitten in der Nacht von einem Besoffenen aufgeschlitzt, die Fähre über die Memel hat uns nicht übergesetzt, wir wurden für illegale Flüchtlinge aus Russland gehalten, nach einem fiesen Stein im Huf ging Cordobes einen Tag nicht klar, es gab eine Kolik durch gefrorenes Gras, Sati hat ein Hufeisen verloren. Puh, habe ich was vergessen? Reicht aber auch. Aber wir haben uns als sturer als unser Karma erwiesen. Wir sind in Lettland nicht weit von Riga, 5km von der Ostseeküste entfernt, in einem kleinen Ort zu Gast. Antinciems. Nein, den muß man nicht kennen, es gibt hier gerade mal 2 Straßen und tagsüber ist es hier so ruhig, daß man das Gras wachsen hört – oder würde, wäre es nicht schon deutlich Herbst. Gestern Abend wurden wir nach unseren letzten Kilometern herzlich begrüßt, die Pferde haben eine Weide bekommen, auf der sie jetzt damit beschäftigt sind, das Gras kurz und klein zu fressen, und wir teilen uns ein Haus, dessen Besitzerin gerade im Urlaub ist, mit ihren Katzen und ihrer Hündin. Heute steht nicht viel auf dem Programm, wir versuchen einfach anzukommen. Es ist ein seltsames Gefühl, es jetzt tatsächlich geschafft zu haben, nach all den Abenteuern und Problemen. Freude, Trauer, Stolz, diese und viele andere Gefühle vermischen sich auf eigenartige Weise. Ein paar Tage werden wir hier bleiben, bis der Transport nachhause startet, und zum Glück wartet ein wenig Abwechslung auf uns. Morgen wollen wir unsere Pferde ein letztes Mal satteln und die paar Kilometer bis zum Meer reiten. Am Wochenende ist dann hier ein großes Tourismusevent, und wir werden nicht nur an ein paar Aktivitäten teilnehmen, sondern werden kurzfristig auch ins Programm aufgenommen: wir sollen von unserer Reise erzählen. Und am Sonntag holt uns Tina, die in der Nähe von Riga lebt, für eine Runde Sightseeing und einen gemeinsamen Abend ab. Es wird also, neben allem organisatorischen, sicher nicht langweilig werden.
Doch, der war sauber… Aber wenn man sich mit Reiter im Schlamm wälzt läuft man eben den Rest des Tages so rum
Aber wie war das jetzt, mit den ganzen Stolpersteinen der letzten Wochen? Ich beginne am besten von vorne, als die Serie mit Konnis Unfall losging. Wir waren östlich von Augustow in Polen, die litauische Grenze war schon zum Greifen nah, als Sati sich beim Anbinden erschreckt hat und ins Halfter gesprungen ist. Konni, der gerade den Knoten schlingen wollte, hatte seinem Schutzengel wohl Urlaub gegeben, denn sein linker Mittelfinger geriet zwischen Seil und Zaun – und verlor. Das vordere Glied war fast amputiert, der Knochen durch. Noch am gleichen Tag wurde die Verletzung im Krankenhaus von Augustow versorgt, aber nun ragte ein Metallpin aus der Fingerspitze – nicht ideal, wenn man den ganzen Tag der Witterung ausgesetzt ist und eigentlich beide Hände braucht… Aber Konni wäre nicht Konni, wenn er sich von so einer «Kleinigkeit» die Tour vermasseln lassen würde. Obwohl ich wirklich Bauchweh hatte
wegen des Infektionsrisikos, beschlossen wir, den Versuch zu wagen – eine Woche wollten wir dem Finger Zeit geben, in Ruhe vor sich hin zu heilen, dann sollte es weiter gehen. Und es ging tatsächlich. Natürlich dauerte jetzt alles nochmal ein wenig länger, aber mit der Zeit fand sich Konni immer besser zurecht. Aber soweit waren wir ja noch gar nicht, als es schon wieder spannend wurde. Der jetzt aber wirklich letzte Morgen in Polen brach an, heute würden wir endlich Litauen erreichen! Wir hatten sogar eine Einladung über Facebook, wußten also schon, wo wir nächtigen würden. Die Pferde waren früh fertig beladen, immerhin mussten wir heute weder Zelt noch Zaun abbauen, allerdings waren sie hungrig, da die Nachtweide nicht allzu üppig gewesen war. Also gab es auf der erstbesten Wiese schon eine Gras»pause». Diese war allerdings abrupt beendet, als sich irgendetwas gruseliges im Gebüsch tat – außer Cordobes konnten wir keines der Tiere erwischen, sie flohen im wilden Galopp. Nicht noch einmal! Mit Cordobes am Zügel, der sich natürlich kaum halten ließ, ging es den deutlich sichtbaren Spuren hinterher. 10km und 3h später mussten wir die Suche aufgeben, die Spuren hatten sich irgendwie verloren. Und das, wo die Grenze nach Weißrussland keine 4km entfernt war! Würden wir unsere Tiere je wieder zu Gesicht bekommen? Völlig erledigt fanden wir unseren Gastgeber der letzten Nacht im Homeoffice, und gemeinsam setzten wir die Suche im Auto fort, mißtrauisch beäugt von hunderten von Grenzpolizisten, die heute im Wald Ausschau nach Flüchtlingen hielten. Und dann kam endlich der erlösende Anruf: die Tiere waren keine 3km entfernt von unserem Nachtlager aufgetaucht!
Aber bis die Herde wieder vereint war, war es später Nachmittag, und wir waren total erschöpft und ausgelaugt. Wo die drei Ausreißer aufgetaucht waren durften wir auch bleiben, und im früh fertiggestellten Nachtlager machte sich Abbruchstimmung breit. Aber hier konnten wir ja ohnehin nicht auf einen Transport warten, und jenseits der Grenze wartete ja schon längst Juljia auf uns. Wir hatten also vorerst gar keine Wahl, und endlich in Litauen zu sein veränderte die Stimmung fast schlagartig. Schnell hörten die endlosen Kiefernplantagen auf, wir fanden wieder reichlich Gras, und die Neugier auf das Abenteuer Baltikum war wieder da!
Und Abenteuer sollten wir mehr bekommen, als uns lieb war…. Wir waren begeistert in einer kleinen Stadt aufgenommen worden, ein breiter Streifen der Dorfwiese war dem Mähwerk aus Zeitmangel entgangen, und direkt neben dem Dorfladen fand sich ein Platz für unser Zelt. Die Dorfvorsteherin lud uns zu sich zum Abendessen ein, und eigentlich viel zu spät krochen wir in die Schlafsäcke. Wir hatten kaum eine Stunde geschlafen, als wir von Bandits frenetischem Bellen geweckt wurden. Der grelle Lichtstrahl einer Taschenlampe wanderte über die Zeltwand, und eine Stimme rief sehr fordernd irgendetwas, daß wir natürlich nicht verstanden. Ein Deja vu, das
hatten wir doch im tschechischen Nationalpark schon mal. Wir schnell war klar, das hier ist nicht eine Autoritätsperson irgend einer Art, sondern ein aggressiver Betrunkener, der uns in schwer verständlichem Englisch aufforderte, herauszukommen und das Zelt, den Ort, und am besten auch gleich Litauen sofort zu verlassen. Als das Wort «knife» während seiner Drohungen fiel, wurde uns dann doch mulmig, aber wir versuchten, den Irren zu ignorieren – was nicht mehr möglich war, als wir das knirschende Nachgeben unserer Zeltplane hörten. Zum Glück hat Konni die Nerven behalten, und sich fast unbekleidet zwischen mich und den Typen gestellt – sonst wäre die Situation vielleicht wirklich noch eskaliert. Aber er hat es tatsächlich geschafft, den Kerl zu beruhigen, und etwas später wurde dieser von der Polizei abtransportiert. Die Nacht war natürlich für uns gelaufen, und wie wir mit zerschnittenem Zelt dem beginnenden Herbst trotzen sollten wußten wir auch nicht, aber wir waren alle unverletzt aus der Situation herausgekommen. Und nur wenige Tage später war das Zelt geflickt, bis dahin hatten wir zum Glück immer ein festes Dach über dem Kopf oder zumindest über dem Zelt.
Mit repariertem Zelt und gut ausgeruht kamen wir an die Memel, Brücken gab es weit und breit nicht, aber über die Oder hatten wir ja auch schon die Fähre genommen, also warum nicht auch hier? Warum hier nicht? Weil erstens unsere Rösser diesen Seelenverkäufer von einer Autofähre genauso vertrauenserweckend fanden wie den Roßmetzger, und weil der Besitzer dieses mehrfach geflickten Gefährts wegen unserer Hufeisen Angst um seine kostbaren Deckplatten hatte. Wir waren erst mal gestrandet am Memelstrand, und das ist weniger romantisch als es klingt. 25km waren es zur nächstgelegenen Brücke, aber die war in Kaunas, einer Großstadt mit absolut verrücktem Verkehr, uns wurde von mehreren Leuten dringend
abgeraten, dort mit Pferden durch zu wollen. Zu einer weiteren Brücke waren es 50km Luftlinie. Sollte uns diese Fähre unseren ohnehin knappen Zeitplan doch noch gefährden, nach all dem, was wir schon überstanden hatten? Aber da hatten wir die Rechnung ohne Frank gemacht, ein deutscher Hufschmied, der in Litauen lebt und arbeitet. Am nächsten Morgen um 8.00h stand er mit einem geliehenen Pferdehänger parat, und hat uns, die Tiere und unser gesamtes Gepäck in 3 Fuhren über den Fluß gesetzt. Zeitplan gerettet! Und ab jetzt sollte uns der litauischen Jakobsweg führen, also keine aufwändige Routenplanung mehr! Ja, denkste, der ist nämlich für Fußgänger gedacht. Die ein oder andere Klippe mussten wir also umreiten, aber es ging dennoch gut voran. Allerdings verließ uns dann ein wenig unser Glück. Cordobes lahmte von jetzt auf gleich heftig, er hatte sich so richtig blöd einem Stein eingetreten. Und leider ging er auch nicht klar, als der draußen war. Wieder war der Tourabbruch zum Greifen nah…. Gott sei Dank bekamen wir ein kleines Stück weiter einen Platz bei einem Landwirt und seiner Nachbarin, und nach einem Tag Pause lief mein Schimmelchen wieder astrein. Und ein weiteres Problem konnten wir dort lösen: eine unserer Luftmatratzen hatte ein Loch, sehr unkomfortabel, wenn man in den schon kalten Nächten plötzlich keine isolierende Luftschicht mehr unter sich hat. Die Nichte der Nachbarin hat uns in die nächste Stadt gefahren, und nachdem sie schon vor vielen Jahren nach Deutschland ausgewandert ist, hat sie genau wie wir zum ersten Mal einen litauischen Baumarkt von innen gesehen. Mit geflickter Isomatte konnten wir also weiter, zur Sicherheit per pedes, Cordos Gepäck wurde auf die anderen Tiere verteilt. Aber kaum war dieser Schreck halbwegs verdaut, wurde die Quartiersuche mühsam. Im angepeilten Ort gab es zwar Wiesen ohne Ende, aber niemanden, der Englisch oder Deutsch sprach. Als wir endlich mühsam mittles Translator unser Anliegen verständlich gemacht hatten (mit Litauisch hat der so seine Probleme), gab es relativ schnell einen Platz, der für unsere Tiere passte, und wir fingen an abzuladen und den Zaun zu bauen. Aber dann kam plötzlich die eigentliche Besitzerin des Grundstücks und verweigerte uns sehr bestimmt, hier zu bleiben, da dann ihr Hund die ganze Nacht bellen würde. Sie zeigte uns noch ein alternatives Stück Land in der Nähe, aber da durften wir nicht mal zum absatteln die Pferde an den zwischen den Häusern stehenden Bäumen anbinden, dafür sollten wir doch bitte den Zaun ganz dort hinten nutzen – ja, an wackeligen, hüfthohen Betonpfosten, die mit rostigem Stacheldraht verbunden sind, binden wir unsere Rösser an…
Mit Tränen der Frustration in den Augen haben wir also alles wieder eingepackt und sind weiter gezogen, und ein paar hundert Meter weiter im Nachbardorf waren wir dann willkommen. Dort wurde den Pferden sofort Wasser bereitgestellt, uns ebenso, und wir bekamen Äpfel und Tomaten aus dem eigenen Garten. Sogar eine Toilette gab es für uns. Die Laune besserte sich schnell, und am folgenden Tag gingen wir wieder optimistisch an die Quartiersuche – nur um das nächste Drama zu erleben. Zur Veranschaulichung: rechts der «Straße» war ein kleiner Bauernhof, etwa 50-100m zurückgesetzt. Links der Zufahrt war eine Wiese mit etwas Klee, gerade hoch genug nachgewachsen, um unsere Tiere glücklich zu machen. Rechts der Zufahrt war eine Apfelbaumwiese mit altem, überständigen Gras. Wir haben explizit nach der linken Wiese gefragt, und sie wurde uns zugesagt. Auch hier war die Verständigung schwierig, aber die Fingerzeige waren eindeutig. Der Zaun stand, die Tiere waren abgesattelt und freuten sich ihres Lebens, da kam der Landwirt wieder. Mir dämmerte trotz der miserablen Übersetzungen des Translators bald, daß er verlangte, die Tiere auf die andere Wiese zu bringen. Konni wollte das nicht glauben, und wir haben alles versucht, um uns besser verständigen zu können. Unter anderem
haben wir einen Tip einer vorherigen Gastgeberin ausprobiert: wenn jemand Russisch kann, den Translator russisch – deutsch übersetzen zu lassen, da das besser klappt als mit Litauisch. Naja, irgendwann war klar, er meint es ernst, und die Tatsache, daß man schon fast nicht mehr die Hand vor Augen sehen konnte, war ihm egal. Also mussten wir wieder alles abbauen, und im Dunklen zwischen den Apfelbäumen auf altem, minderwertigen Gras wieder aufbauen. Und unser Schlafplatz war ja auch noch nicht gerichtet. Jetzt hat unser Zeltboden jedenfalls ein Loch, weil wir die Dornenpflanze nicht sehen konnten….
Frustriert gingen wir schlafen, immerhin nach einem «Notfallbierchen». Und dann gab es schon wieder ein Deja vu – wenn etwas 3x passiert ist es eine Serie, oder? Frenetisches Hundegebell, Taschenlampe, die Aufforderung, sofort das Zelt zu verlassen. Zum Glück war es diesmal tatsächlich «nur» die Polizei, aber da lagen unsere Nerven schon blank. Unsere Papiere wurden gründlich gecheckt, es bestand der Verdacht, wir seien russische Flüchtlinge… Wer da wohl die Polizei gerufen hat? Jedenfalls haben wir danach nie wieder versucht, den Translator auf Russisch zu stellen…. Am nächsten Morgen hatte der Landwirt dann wohl ein schlechtes Gewissen, denn er kam erst mit Kaffee und Gebäck fürs Frühstück, und später mit Milch und Frischkäse als Proviant.
Milch und Käse waren so lecker, ich konnte danach nicht mehr sauer sein….
Und danach haben wir Litauen wieder so herzlich erlebt wie zu Beginn, wir kamen gut voran und haben tolle Menschen getroffen. Viel zu schnell waren wir auf einmal in Lettland, und genauso schnell kam jetzt wirklich der Herbst – die Temperaturen fielen um satte 10°. Aber Tina hatte tolle Quartiere für uns organisiert, unser Zelt brauchten wir nicht mehr. Und für den kälteempfindlichen Cordobes hatte ich eine wärmende Regendecke gebastelt. Also alles gut jetzt? Nein, nachdem am Morgen das Gras tatsächlich einmal gefroren war, hat er während der mittäglichen Graspause plötzlich aufgehört zu fressen und wollte unbedingt weiter laufen. Ungewöhnlich. Dann flehmte er, gut, Sati war rossig wie schon lange nicht, aber dann atmete er auch noch schneller, fing an gegen dem Bauch zu treten, und als ich ihn am Weglaufen hinderte wollte er sich hinlegen. OK, kurzer Kreislaufcheck, soweit ok, also los. Nur, was machen wir, wenn es nicht besser wird? Aber nach ein paar Kilometern war der Spuk so schnell vorbei, wie er angefangen hatte. Nochmal gut gegangen! Daß ausgerechnet Sati, die wir zum Beschlagen sedieren müssen, 2 Tagesritte vor dem Ziel ein Eisen verloren hat, war da dann eigentlich kaum eine Aufregung wert. Und das Wanderreitkarma war uns mal wieder hold, unsere Gastgeberin hat es geschafft, daß jemand 100km zu uns gefahren
ist, um uns noch in der Nacht ein neues Eisen aufzunageln. Und die letzten 2 Reittage verliefen dann zum Glück ohne weitere Dramen.
Ja, jetzt ist es vorbei, unser Abenteuer Bernsteinroute. Obwohl, ein bisschen Spannung bleibt, beim Thema Rücktransport sind wir mittlerweile bei Plan D angelangt…. Aber – es wird sich fügen
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