Abenteuer Weitreiten

by | Jun 22, 2024

Abenteuer Weitreiten

Wir sitzen in einer kleinen tschechischen Kneipe, in der wir vor 2 Tagen eine der besten Pizzen unseres Lebens gegessen haben, und müssen erfahren, daß es wegen einer Großbestellung 2 Stunden dauert, bis wir essen können. Um uns beginnt nach dem bisher heißesten Tag, den wir mit leichten Arbeiten oder schlafend hauptsächlich im Schatten verbracht haben, ein vermutlich etwas eskalieredes Gewitter. Aber wenn wir eines haben, dann ist es Zeit. Außer ins Zelt zu kriechen haben wir heute nichts mehr zu tun, also warten wir. Die Pizza ist es definitiv wert.

Ja, der Sommer ist da. Und mit ihm Hitze und die nervigen Insekten. Jetzt müssen die Fransenteile zeigen, was sie können, und sie können einiges. Aber was mich am meisten nervt sind die kleinen Mücken, die mir mit schönster Regelmäßigkeit in die Augen fliegen – und das Autan ist offensichtlich Zuhause geblieben… Aber unsere Gastgeber in Dubany, Misa und Petr, sind unglaublich. Völlig selbstverständlich macht Misa mit uns eine Shoppingtour nach Pardubice, erst in ein Reitsportgeschäft, dann zu Dekathlon. Großeinkauf! Und auch sonst lassen sie keine Wünsche offen, dafür aber ihre Haustüre, damit wir jederzeit auf die Toilette oder unter die Dusche können, was wir weidlich ausnutzen. Wann haben wir uns zuletzt so sauber gefühlt?

Diese Pause war aber auch dringend nötig. 10 Tage sind wir jetzt am Stück geritten, und es waren fordernde Tage. Erst war es immer wieder naß, so daß wieder einmal die Schlafsachen kaum mehr trocken zu halten waren, dann kam die Hitze, quasi von heute auf morgen. Und wir reiten mittlerweile durch eine Region, die dominiert wird von Getreidefeldern und riesigen Heuwiesen, also ist die Quartiersuche jeden Abend eine Herausforderung. Mittlerweile sind wir dazu übergegangen, gegen Abend, wenn möglich, eine Dorfkneipe anzusteuern. Bei einem kleinen Bier fragen wir dann in die Runde, ob jemand eine Idee hat, wo wir unterkommen können. Das klappt zum Glück meistens sehr gut. Aber nicht immer liegt gerade eine Dorfkneipe auf dem Weg, und einen Abend vor unserer geplanten Ankunft in Dubany wollten wir nur «noch schnell» Tremosnice und den darauf folgenden Aufstieg hinter uns bringen, um dann eine Wiese zu suchen. Der Anstieg wurde dann nach bereits 30km und hungrigen Pferden ein echtes Abenteuer. Der zunächst nette Pfad entlang eines Baches wurde immer felsiger und enger, längst waren wir abgestiegen und ließen alle bis auf das vorderste Tier frei laufen. Umgestürzte Bäume zwangen uns teilweise in das steinige Bachbett, immer wieder mussten die Tiere darüber springen. Ich bin immer noch sprachlos, wie selbstverständlich alle 4 diese knochenbrecherischen Passagen meisterten! Und dann war nach etwas mehr als 2/3 der Strecke Schluß, die Bäume waren einfach nicht mehr passierbar mit Pferden. Also alles wieder zurück, und das, bevor die Dämmerung einsetzt, denn sonst wäre es wirklich gefährlich geworden. Aber zurück am Fuß des Berges, kurz vor dem Stadtrand von Tremosnice, sahen wir weit und breit nichts als abgemähte Heuwiesen, kein Futter für unsere hungrigen und müden Partner.

Und dann traf uns das Wanderreitkarma mal wieder mit voller Wucht: die ersten Menschen, die wir im nahen Dorf ansprachen, hatten Nachbarn mit Pferden. Telefonisch haben sie niemanden erreicht, also liefen sie kurzerhand mit uns zu dem Platz, wo die Pferde standen. Und dort bekamen wir nicht nur eine Wiese mit Gras satt, sondern auch ein trockenes Plätzchen für unseren Schlafplatz, außerdem eine genaue Beschreibung, wie wir ohne Umweg auf sicheren Wegen den Berg erklimmen können. 

Dieses Erlebnis war aber nur die Krönung dessen, was Tschechien uns in dieser doch eher flachen Landschaft an Problemen bereitet hat. Solche Schwierigkeiten erwarten wir im Gebirge, aber nicht in dieser sanften Hügellandschaft. Aber auch wenn Tschechien über ein formidables Wanderwegenetz verfügt, und wir teilweise über viele Kilometer sogar ausgeschilderten Reitwanderwegen folgen können, so sind die übrigen Wald- und Feldwegen oft ganz anders, als in der Karte angegeben. Und selbst die sogenannten Wander- oder Reitwege sind oft quasi nicht existent, selbst wenn wir Markierungen an den Bäumen finden. Oft genug werden Wege an Feldrändern von den Landwirten einfach in ihre Felder integriert – es macht echt Spaß (nicht!), mit Pferden durch ein Weizen- oder Maisfeld zu reiten… Oder es ist im Prinzip ein Weg da, aber er wird nicht gemäht. Ich sende oft ein Dankgebet an meine Lederhose, aber wenn die Brennnesseln mannshoch auf dem Weg wachsen muß man trotzdem gut aufpassen, wo man die Zügelhand hat. Oder der Wanderweg führt über einen tiefen Bach. Keine Brücke hilft bei der Überquerung, nein, der geneigte Wanderer möge bitte 5m über den dicken Baumstämme balancieren…. Erkläre das mal einem Kabardiner oder Muli…

Aber wenn es nicht gerade extrem sumpfig ist, machen unsere 4 mittlerweile viel mit. Aber da war diese eine Stelle, im eigentlich ebenen Waldstück. Eine tief eingeschnittene Rinne querte unseren Pfad, offensichtlich eine seit Ewigkeiten nicht mehr genutzt Fahrspur. Eine steile Böschung führte über eine Abbruchkante 3m in die sumpfige Tiefe, ein Horror. Mit sehr viel Mühe bekamen wir nach und nach alle überredet, uns zu folgen, nur um 10m weiter eine wirklich gefährliche Stelle vorzufinden: ein weiterer Graben, nicht so tief, aber ebenfalls sumpfig, und voll mit abgebrochenen Stämmen und Ästen. Ich konnte die Weigerung von Cordobes an dieser Stelle voll verstehen! Und zu allem Überfluß begann es in genau diesem Moment, heftig zu regnen. Na wunderbar, gefangen im Sturzregen zwischen zwei nahezu unpassierbaren Gräben… Ich überließ Konni mit den Tieren seinem Schicksal, wo sollten sie auch hin, und suchte nach einer Alternative. Zum Glück konnten wir die gefährliche Stelle umgehen, und die Wiese, über die wir zurück zum Weg gingen, war bereits gemäht. Hätten wir durch reifes Heu stapfen müssen, in diesem Moment wäre es uns egal gewesen!

Aber nicht nur die Wegführung treibt unerwarteterweise im Moment regelmäßig unseren Puls hoch, vor ein paar Tagen hatten wir eine zumindest für ein paar Augenblicke spannende Begegnung. Wir bogen im Wald um eine Ecke, der Weg war komfortabel breit, und sahen in einiger Entfernung vor uns ein Tier. Wie angewurzelt blieben unsere Reittiere stehen. Und dann dachte ich, ich höre nicht recht. Konni, der vor mir ritt, meinte: Oh, das ist ein Wolf….

Ja, das konnte sein. Er war noch ein gutes Stück entfernt, aber die Statur und Erscheinung passt, und er hatte einen sehr lauernden Ausdruck. Und auch wenn ich immer etwas großspurig sage, daß ich vor Begegnungen mit Wölfen oder Bären keine Angst habe, ging mein Puls in diesem Moment doch hoch. Würden die Pferde gleich durchgehen? Würde der Wolf angreifen? Ich beschloß, natürlich erst, nachdem wir ein Foto geschossen hatten, in die Offensive zu gehen und begann laut zu rufen, Konni stimmte mit ein. Als dann der vermeintliche Wolf auf uns zu kam, sahen wir, daß es zum Glück doch nur ein Hund war, sogar ein Halsband konnten wir bald erkennen. 

Ja, die Abenteuer scheinen nicht abzureißen, aber solange sie so gut ausgehen…

Und heute haben wir dann an ein kleines Abenteuer unserer letzten Tour anknüpfen können: Vor 2 Jahren haben wir in den tschechischen Wäldern im tiefsten Schlamm einen Endurofahrer getroffen, der seine schwere KTM in einer tiefen Pfütze versenkt hatte, und völlig erschöpft von vergeblichen Befreiungsversuchen am Wegrand saß. Mit vereinten Kräften und mit Hilfe unseres Notfallseils konnten wir ihn befreien. Und heute hat er uns in unserem Pausenquartier besucht. Dank Facebook hat Simon gesehen, daß wir keine 40km entfernt von seinem Zuhause sind, und so hat er sich an seinem freien Nachmittag auf den Weg zu uns gemacht. Es war uns eine echte Freude, diesen tollen Menschen wiederzusehen! 

Noch immer warten wir auf unsere Pizza, aber das große Gewitter scheint uns zu verschonen, mehr als etwas Donner und einem kurzen Nieselregen gab es bisher nicht. Ab morgen wird es zum Glück nicht mehr so heiß, und so wollen wir versuchen, diese landwirtschaftlich geprägte Region so schnell wie möglich zu verlassen, Polen wartet schon auf uns. Und wie schon so oft zuvor wird es uns wieder schwer fallen, unsere tollen Gastgeber zu verlassen, aber wir wollen schließlich zu Tina, also heißt es morgen Früh nach zwei trotz aller Erledigungen erholsamen Tagen wieder: Back on track!

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