Heute hier – Morgen dort
Heute will ich mal ein bisschen sachlicher schreiben: Wie finden wir eigentlich unseren Weg und unsere Quartiere, und wie gut klappt das?
Natürlich können wir auch ganz old school mit Karte und Kompass umgehen, aber sind wir mal ehrlich: wer will schon täglich mit der Papierkarte hantieren, wenn es auf dem Handy so viel einfacher geht? Außerdem hätten wir einen ganz ordentlichen Kartenverschleiß, wenn wir einen brauchbaren Maßstab nutzen wollen, das haben wir auf unserer ersten Tour vor 2 Jahren gemerkt. Durch eine Wanderkarte sind wir in ein, maximal zwei Tagen durchgeritten. Und gerade in Osteuropa kommen wir an diese Karten unterwegs auch gar nicht dran, sowas führen die Dorfläden einfach nicht. Also planen und navigieren wir per GPS auf dem Handy. Ein Garmin haben wir auch dabei, aber das nutzen wir bisher gar nicht. Das Display ist klein, die Bedienung gewöhnungsbedurftig. Für den Fall, daß die Handys und unsere beiden Powerbanks keinen Saft mehr haben oder starker Regen die Nutzung des Handytouchscreens unmöglich macht, ist es aber ein gutes Gefühl, ein Backup dabei zu haben.
Auf wanderreitkarte.de hört das Kartenmaterial kurz hinter der polnischen Grenze einfach auf.
Ja, und wie machen wir das jetzt konkret? Ich plane unsere Tracks ja am liebsten auf www.wanderreitkarte.de. Da bin ich die Bedienung gewohnt und kann ganz gut abschätzen, was geht und was nicht. Aber diese ansich tolle Seite hat zwei erhebliche Nachteile: Strecken über 100km kann sie nicht rechnen, und ab Polen gibt es dort kein Kartenmaterial mehr. Also musste ich quasi umschulen.
Der Gesamttrack an dem wir uns orientieren.
Eine Freundin hat mich in die Bedienung von Outdooractive eingeführt, und mit der Pro-Version kann man da schon recht gut planen, auch wenn ich einige Features von Wanderreitkarte vermisse. Dafür gibt es keine Beschränkung in der Länge der Tour. Und als Richtlinie habe ich auch einmal die komplette Strecke Schwarzwald – Riga auf dem Handy, alles, inklusive der entsprechenden Kartenabschnitte mit Reserve, offline verfügbar. An diesen Track halten wir uns «im Prinzip», wobei ich immer mal schaue, wo uns die Strecke so hinführt. Gerade die Überquerung von Flüssen lohnt einen zweiten Blick, denn die App wollte uns auch schon eine Eisenbahnbrücke nutzen lassen…. So wird die Route unterwegs immer wieder mal angepaßt und abgeändert, auch, wenn wir Einladungen etwas abseits unserer eigentlichen Strecke bekommen. Bis wir nach Polen gekommen sind, hat Outdooractive auch sehr zuverlässig die Art des Weges dargestellt, so daß ich problemlos zu viele Asphaltstrecken vermeiden konnte. Leider sind seit der polnischen Grenze diese Informationen nicht mehr zu bekommen, auch digitales Kartenmaterial ist hier kaum zu finden. Ein und dieselbe Wegekategorie laut Karte kann alles sein vom grasbewachsenen Feldweg über Sand- oder Schotterpiste bis hin zu Asphalt. So ist jeder Tag ein kleines Überraschungspaket
Nicht immer folgen wir akurat der Planung – so kann das Tracking am Ende auch aussehen
Auch ob die Wege dann wirklich da sind, wo wir sie erwarten, ist nicht selbstverständlich, allerdings haben wir gerade eine völlig andere Situation als vor unserer Ankunft in Polen. In Deutschland und Tschechien waren die Wälder oft ein kleiner Kampf: Wege verschwanden unauffindbar im Unterholz, Brücken waren unpassierbar, umgefallen Bäume zwangen uns zu abenteuerlichen Abstechern ins Unterholz. Oft waren wir froh, mal eine Weile ungehindert über Feldwege reiten zu können. In Polen war bislang noch jeder Waldweg, egal wie ungenutzt er am Einstieg aussah, problemlos passierbar, und es gab eigentlich immer deutlich mehr Wege, als die Karte vermuten ließ. Aber im «offenen» Gelände standen wir schon so manches Mal vor dem Problem, daß da einfach kein Weg mehr war. Finden wir stattdessen ein abgeerntetes Feld vor, dann reiten wir halt einfach weiter. Aber Maisfelder, besetzte Kuhweiden oder auf der Karte einfach nicht vorhandene, dichte Wäldchen zwingen zu so manchem Umweg.
Daß das Kartenmaterial nicht immer so ganz aktuell zu sein scheint erschwert natürlich meine Planung. Was wir unterwegs immer wieder brauchen ist Wasser für die Tiere und Gras für die Pferde. Eigentlich habe ich mittlerweile einen ganz guten Blick dafür, wo sich eine Pause oder eine Übernachtung lohnen könnte, aber manchmal sieht es vor Ort ganz anders aus, als die Karte vermuten läßt: Bäche sind ausgetrocknet, Lichtungen aufgeforstet, Teiche eingezäunt. Meist vergleiche ich das Kartenmaterial von Outdooractive und von Oruxmaps, der App, mit der ich navigiere und tracke, mit der Satellitenansicht von Google Maps. Viel Aufwand, der sich aber oft rentiert. So bestimme ich oft schon am Morgen unser potentielles Zielgebiet für den Abend. Und damit sind wir schon beim nächsten Thema, der Quartiersuche. Auf einer so langen Tour ist es unmöglich, im Vorraus die Übernachtungen zu planen. Also wissen wir meist am Morgen noch nicht, wo wir die Nacht verbringen werden. Ich schaue nach dem Abritt, wie weit wir vermutlich kommen können. Da wir je nach Anspruch der Strecke, Startzeitpunkt, Wetter und Tagesform zwischen 20 und 35km am Tag schaffen, schaue ich mir die Gegend in ca. 20km Luftlinie Entfernung vom Start an. Liegt das mitten im Wald? Dann muss ich genauer planen: Müssen wir vorher stoppen, oder sollten wir es rechtzeitig durch den Wald schaffen?
Schattenparkplatz vor dem Dorfladen – Diese Läden sind ein Segen für uns, so können wir uns mit Lebensmitteln versorgen, ohne in die Städte zu reiten.
Am liebsten sind uns gegen Abend kleinere Orte, gerne welche mit Dorfläden. Dort angekommen, fragen wir die erstbeste Person, die wir sehen, ob sie eine Idee hat, wo wir nach einer Wiese für die Nacht fragen können. Ein Verständigungsproblem gibt es eigentlich nur, wenn wir niemanden finden, der Deutsch oder Englisch spricht und wir keinen Empfang für den Übersetzer auf dem Handy haben, ansonsten kommen wir da sehr gut zurecht. Oft haben wir Glück, und schon die erste Anfrage ergibt ein tolles Quartier, manchmal müssen wir zwei oder drei Anwohner fragen, bis es klappt, oder werden «weitergereicht». Eine gute Methode ist es auch, eine Weile mit dem Tieren vor dem Dorfladen oder der Dorfkneipe zu stehen, da versammelt sich dann oft die halbe Einwohnerschaft und versucht alles, um uns einen guten Platz zu beschaffen. Und gelegentlich müssen wir gar nicht suchen, sondern werden quasi aufgelesen, und werden zum Bleiben eingeladen. Ein Horror für uns ist da immer die unangenehme Situation, wenn sich Menschen die größte Mühe geben, uns unterzubringen, aber der für die Pferde angedachte Platz einfach nicht geeignet ist. Wir kommen uns dann absolut undankbar vor, und ob wir unsere Ablehnung über den Translator taktvoll an den Mann oder die Frau bringen, keine Ahnung. Zum Glück passiert das nur selten.
Zusätzlich habe ich in einer polnischen Facebookgruppe unseren Track geteilt und um Tipps gebeten, und über diese Gruppe bekamen wir viele Einladungen. Viele waren leider komplett abseits unserer Route, aber einige haben wir angenommen. Und eine Weile sind wir in Westpolen dann von einem Gastgeber zum nächsten weitergeschickt worden, jeder kannte jemanden, der in unserer Richtung lag.
Im Großen und Ganzen klappt das wunderbar. Natürlich gibt es bessere und schlechtere Unterkünfte, sowohl für die Tiere wie für uns. Und nicht immer ist es objektiv nachzuvollziehen, wann eine Unterkunft sich gut oder weniger gut anfühlt. Ich will beispielhaft drei Nachtquartiere näher beschreiben:
- Der «Lost place»
Wir kamen gegen Abend in einen kleinen Ort, und die junge Frau, die wir ansprachen, schickte uns etwa 2km weiter zum nächsten Dorf, dort sei ein Stall. Ein kurzer Check auf Google Maps: ja, ich konnte deutlich einen Springplatz erkennen. Dort angekommen waren wir allerdings erst nicht sicher, ob hier überhaupt noch Pferde leben. Die Zäune sahen marode aus, der Reitplatz heruntergekommen, neben einem Rohbau (so sah es jedenfalls aus) stapelte sich Schrott, auf dem ein paar Ziegen herumkletterten. Ein grasbewachsener Roundpen und ein paar rostige Container vervollständigten das Bild. Auf den zweiten Blick sah man aber überall Pferdeäpfel liegen, und stand da nicht ein Auto? Empfang ist hier auch, also den Translator bereit machen und mal nach jemandem suchen. Ja, hier gibt es noch Pferde, und ja, wir durften bleiben. Unsere Equiden bekamen den Roundpen und einen halben Rundballen gutes Heu (den haben wir natürlich außerhalb gelagert und nur so viel gegeben, wie sie auch fressen konnten), der Hund bekam Dosenfutter spendiert (ok, es war Katzenfutter, aber das sieht Bandit nicht so eng), und wir durften die Feuerstelle und die kleine Küche in einem der Container nutzen. Am Morgen wurden wir dann per Traktor noch über eine inoffizielle Route auf kürzestem Weg zurück auf unsere eigentliche Strecke geleitet. Hier haben sich alle wohlgefühlt, wir selber, Bandit und die Rösser.
2. Der Grusel-Hof
Wir wurden völlig überraschend gegen Nachmittag im Wald eingeladen, über Nacht zu bleiben. Ein Autofahrer hielt bei uns an, als wir eigentlich gerade nach einem Platz für eine Graspause suchen wollten, denn endlich kamen wir aus diesem endlosen Wald heraus. Jetzt schon für die Nacht stoppen? Naja, so wirklich Lust auf Weiterreiten hatte keiner, weit genug gekommen, um unser für morgen geplantes Quartier zu erreichen waren wir auch, also warum nicht? Unser Gastgeber schickte uns querfeldein über das Land seines Bruders zu seinem Hof, während er selbst mit dem Auto über Schleichwege nachhause fahren wollte – für die offizielle Strecke habe er schon zu viel getrunken… Nun gut, stockbesoffen wirkte er nicht, und was hätten wir schon sagen sollen? Er war so stolz auf seine mageren Deutschkenntnisse, daß er sich standhaft weigerte, den Translator zu nutzen, was die Kommunikation natürlich nicht vereinfachte. Egal, wenn er eine gute Weide für die Tiere hätte wollten wir bleiben – und er hatte. 2ha bestes Weidegras, das sollte reichen. Daß uns hier nach langer Zeit mal wieder ein Bier gereicht wurde, bevor wir eine Chance hatten, abzusatteln, hat uns jetzt weniger überrascht… Relativ schnell kam das Thema Wolf zur Sprache, schon seit einigen Wochen hören wir immer wieder von auf der Weide getöteten Rindern. Unser Gastgeber hat da seine eigene Lösung: die Kalaschnikow. Konni fragte da nochmal genauer, ja, er hat eine echte Kalaschnikow. Die hat er auch benutzt, um andere Probleme zu lösen: das Kalb mit gebrochenem Bein, oder seinen Hund, der ihm die Rebhühner tötet…. Nachdem wir die Weide verlassen und den eigentlichen Hof betreten hatten fiel uns dann ein dezenter Verwesungsgeruch auf…. Eigentlich sollte das reichen, um die Pferde eilig wieder zu beladen und die Flucht zu ergreifen, aber dieser Mensch hat uns nicht wirklich Angst gemacht. Bandit jedenfalls fand die Teile des Kalbes, die er entdeckte, recht appetitlich. Da wir aber im Haus schlafen sollten (in dem Zimmer, in dem offensichtlich der krebskranke Vater bis zu seinem Tod gepflegt worden war), wollten wir keine Sauerei riskieren und haben Bandit dann an die Leine gelegt.
Neben tonnenweise Hafer für die Pferde und einem Nachtlager wurde uns dann auch Abendessen angeboten – das musste Konni dann allerdings selber kochen. Eine wilde Mischung aus frischem Gemüse aus dem Garten, eingemachtem Letscho, Fleisch und Reis ergab eine ausreichende Mahlzeit für alle, und reicht unserem Gastgeber wohl noch zwei weitere Tage. Außer Bier hätten wir auch noch etwas zum Rauchen aus dem eigenen Garten bekommen können, was wir nicht nur aufgrund des etwas mitgenommenen Eindrucks seiner Pflanze abgelehnt haben…
Unser Gefühl an diesem Ort war irgendwie zwiespältig. Alle waren bestens versorgt, aber die Stimmung war seltsam. Bis Ende letzten Jahres war dies wohl noch ein 300ha-Hof. Aber im November war der Vater nach langer Krebserkrankung gestorben, die Mutter ist in die Stadt gezogen, der Hof wurde aufgeteilt. Nun sitzt dieser Mensch, der 15 Jahre lang in ganz Europa LKW gefahren ist und keine Familie hat, auf diesem Restchen Hof, weiß nicht wirklich etwas damit anzufangen, lebt mehr schlecht als recht von Gelegenheitsjobs im Gartenbau, und ist offensichtlich Alkoholiker. Was aus ihm und diesem Anwesen wohl wird?
3. Der Nobelstall
Den Tip für diese Unterkunft haben wir über die polnische Facebook-Gruppe bekommen. Ein kurzer Anruf, ja, sie haben Platz, wir dürfen gerne für zwei Nächte kommen. Sogar ein Zimmer über dem Stall gibt es für uns. Die Homepage sah vielversprechend aus, und da auch Reiterferien angeboten werden, hofften wir auf die Möglichkeit, uns vor Ort zu verpflegen. Leider war dies während des Wochenendes aber nicht möglich, also machten wir einen kleinen Umweg über den einzigen für uns auf dieser Tagesetappe erreichbaren Laden – der kleine Umweg machte leider ruckzuck aus 24km gute 30km, weil wir die vielbefahrenen Schnellstraße irgendwie vermeiden mussten, und die geplanten Feldwegen zum Teil wieder einmal nicht vorhanden waren. Egal, wir waren früh gestartet an diesem Tag, und so kamen wir gegen 17.00h am Stall an. Leider fühlte sich dort irgendwie so gar niemand für uns zuständig, die Besitzerin, mit der ich unseren Aufenthalt besprochen hatte, war mit ihrer Tochter auf einem Turnier, der Sohn war nicht da, die Reitlehrerin gab Unterricht. Ein Einsteller erbarmte sich schließlich und versuchte zu helfen, als dann doch der Sohn auftauchte. Er zeigte mir einen großen Paddock, in dem eine leere Heuraufe stand. Heu sei zur Genüge im Stall (ja, dort standen mehrere offene Rundballen), eine Schubkarre würde er uns geben, und Wasser müssten sie dann bringen. Unser Zimmer, die Sanitäranlage und einen Platz für unsere Ausrüstung zeigte er mir noch, und dann war er wieder weg. Also, erst mal absatteln. Aber auch, als die Pferde schon in die relative Freiheit entlassen waren, standen wir etwas hilflos da. Mutter und Tochter waren in der Zwischenzeit zurückgekommen, hatten im Vorbeifahren begeistert unsere Tiere auf dem Paddock bestaunt, aber es kam niemand auf uns zu. Da unsere 4 nach 15km in der Sommerhitze hungrig und durstig waren, haben wir uns einfach selbst geholfen. Ein Bottich stand herum, den haben wir requiriert, der nette Einsteller hat uns seine Eimer geliehen, und Schubkarren fanden wir selber. So waren unsere Rösser endlich versorgt. Es wurde schon dunkel, als wir endlich auch für unser leibliches Wohl sorgen konnten. Ja, wir haben hier alles, was wir brauchen: Betten in einem klimatisierten, sauberen Raum, Dusche und WC, einen überdachten Sitzbereich zum Kochen und Essen, einen sicheren Platz für die Pferde, gutes Heu und Wasser, so viel wir wollen. Und die Stallungen sind das ordentlichste, sauberste und gepflegteste, was uns in Polen bislang begegnet ist. Aber so richtig wohl fühlen sich weder die Pferde noch wir. Bisher waren wir ja von der polnischen Gastfreundschaft mehr als überwältigt – hier sind wir völlig verwirrt ob dieser offensichtlichen Gleichgültigkeit. Es ist uns nach Pausentagen oft sehr schwer gefallen, wieder weiter zu reiten, das wird morgen wohl nicht das Problem sein.
Ja, wir sind jeden Tag gespannt, wo wir wohl unterkommen. Und in zwei oder drei Tagen kommt eine ganz neue Spannung dazu: wie werden die Menschen in Litauen wohl sein? Gibt es dort gutes Gras? Können wir vielleicht sogar mal wieder wild campen? Oder ist dort, wie in Polen, alles Land privat, wo Gras wächst? Wie viele Dorfläden gibt es, und finden wir vielleicht mal wieder Gaststätten, um unterwegs einzukehren? Funktioniert meine Routenplanung dort wie gewohnt, oder müssen wir komplett umdenken? Wie gut ist unser Kartenmaterial? Wie funktioniert die Kommunikation mit den Menschen? So viele offene Fragen, auf die es im Moment nur eine Antwort gibt: Es wird sich fügen!